Christian HartardArbeitenForschung, Texte, CVstudio@hartard.com en
                  

Meine wissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte waren und sind die Geschichte des Raums in der Bildhauerei, urbanistische Ideologien der Nachkriegszeit und Autonomiekonzepte in zeitgenössischen system- und feldtheoretischen Kunstsoziologien. Aktuell liegt mein Fokus auf einem forschendem Zugang zur Kunst (artistic research). Insbesondere interessiert mich eine Kunst jenseits des Bildes, mit der ein Paradigmenwechsel vom Virtuellen zum Konkreten verbunden ist: von der Repräsentation zur Präsenz, von der Ikonizität hin zu Kategorien wie Raum, Körper, Material und Prozess.



Performative Objekte / Less Work for Mother / Weltmaschine /
Kunstautonomien / Utopie des Urbanen


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Performative Objekte 

In meinem Projekt arbeite ich an der Entwicklung skulpturaler Elemente, die einen offenen Rahmen für Partizipation bieten. Performative Objekte sind plastische Module, die weder eine definierte Funktion besitzen noch eine feste Anordnung bilden, sondern getragen, benutzt, bewegt, neu arrangiert, umgestaltet, erweitert oder bei Verschleiß ersetzt werden können. Der kalkulierte Kontrollverlust des Künstlers oder der Künstlerin zielt auf eine Emanzipierung der ‚Betrachter‘, denen eine nicht nur rezeptive, sondern eine produktive Beteiligung an den künstlerischen Operationen zugestanden (oder: zugemutet) wird.

Performative Objekte stellen dabei mit ihrem ambivalenten Status zwischen Werk und Werkzeug grundlegende Fragen zu einer alternativen Ökonomie der Kunst in Produktion, Präsentation und Distribution: Sie fungieren nicht als Originale, sondern als Modelle, die beliebig kopiert werden können. Eine zentrale Rolle nehmen in meinem Projekt deshalb neue Techniken des rapid prototypings und des dreidimensionalen Drucks ein, die nicht nur eine standardisierte Herstellung plastischer Objekte, sondern im Sinne des Open-Source-Gedankens auch eine unbegrenzte Verbreitung und damit einen niederschwelligen Zugang zum ästhetischen Material ermöglichen.

Mein Projekt etabliert performative Objekte als theoretisches Konzept der ästhetischen Reflexion und zugleich als Arbeitsprogramm für meine eigene künstlerische Tätigkeit, die sich im Kontakt mit ihrer wissenschaftlichen Fremdbeschreibung schärfen und radikalisieren kann. Die geplante Werkserie verstehe ich als Laboratorium, das durch die Beteiligung anderer Künstler, professioneller Performer, Angehöriger gezielt ausgewählter gesellschaftlicher Gruppen oder auch zufälliger Besucher mit Leben gefüllt wird. Die Wissens- und Erfahrungsgewinne, die aus diesen experimentellen Anordnungen zu ziehen sind, dienen im Sinne eines empiriegestützten artistic research der Entwicklung eines epistemologischen Modells, mit dem sich einerseits performative Objekte beschreiben und analysieren lassen, das andererseits aber wiederum als theoretischer Impuls in meine künstlerische Praxis eingespeist wird.

www.icaros.org
Forschungsprogramm

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Less Work for Mother

Recherche und künstlerische Praxis, Einzelausstellung im Museum Villa Stuck München,     kuratiert von Verena Hein, 19. Juni – 21. Oktober 2018 / Katalog im Distanz-Verlag Berlin,    
hg. von Michael Buhrs und Verena Hein.

Ausgehend von der Biographie einer Großtante, die 1940 in Schloss Hartheim bei Linz Opfer der NS-
Euthanasie wurde, nähert sich die Ausstellung elementaren Erfahrungen wie Angst, Ohnmacht, Verlust. Durch den Einsatz von Wärme, Kälte, Geruch, Vibration, Elektrizität und prekärer Aggregatzustände entstehen Energie- und Erinnerungsspeicher, die dem Nichtmehrvorhandenen einen Ort geben.

Katalog (PDF)
Ausstellungsdokumentation

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Weltmaschine
Geschichte und Theorie des plastischen Raums

Eine Untersuchung ästhetischer Räume scheint nicht in die Zuständigkeit der Kunstgeschichte zu fallen. Die Kunst, so vermutet man, sei wie die Welt aufgebaut aus Gegenständen, die man sehen, die man anfassen, an denen man sich den Kopf stoßen kann. Müssten Kunstwerke also nicht dort anfangen, wo der Raum aufhört?

Tatsächlich hat die Kunstgeschichte bisher sehr zurückhaltend auf den ‚spatial turn‘ reagiert, der in anderen Disziplinen ein neuerwachtes Interesse an raumbezogenen Fragestellungen anzeigt – selbst dort, wo eigentlich die lebhafteste Auseinandersetzung mit Raumproblemen zu erwarten wäre: in der Geschichte der Bildhauerei. Gerade für die plastischen Künste, die in der Moderne eine beispiellose räumliche Expansion erlebten, böte es sich jedoch an, die Produktion von Raum als eine besondere Art der ästhetischen Sinnstiftung zu begreifen. Als Kontrapunkt zu kunstwissenschaftlichen Analysen, die mit dem Leitbegriff des Bildes operieren, wird ein dezidiert raumästhetischer Ansatz betonen, dass die plastische Kunst der Gegenwart generell keine ‚Bilder‘ mehr erzeugt, die ihren Sinn aus der Absonderung eines von der Realwelt unterschiedenen Beobachtungsfeldes (oder gar aus einer mimetischen Verweisungsfunktion) beziehen. Die Plastik in ihrem Eigen-Sinn ernstzunehmen müsste also heißen: der Frage nachzugehen, was es stattdessen zu sehen gibt.

So könnte man schärfer in den Blick bekommen, dass die demonstrativen Raumthematisierungen am Beginn der Moderne nicht als unvermittelter Ausbruch des Bildes in den Raum zu begreifen sind. Gegen eine solche Verkürzung ist ein Modell in Stellung zu bringen, das die Geschichte der Bildhauerei insgesamt als Geschichte einer stetigen Verräumlichung beschreibt: als Prozess einer zunehmenden Sensibilität für die räumlichen Ausdrucksmittel, der mit den ästhetischen Autonomisierungs- und Reinigungsprozessen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert seinen Kulminationspunkt erreicht. Nachdem die Plastik des Mittelalters sich durch ihre Bildlichkeit gegenüber der Architektur emanzipiert hatte (statt im Ornament zu erstarren), emanzipiert sie sich durch den neuen Anlehnungskontext des Raums gegenüber dem Bild. ‚Raum‘ wird für die Bildhauerei zum Mittel der Selbstreflexion: gewissermaßen rückblickend kann sie sich nun über ihre Räumlichkeit (statt ihre Bildlichkeit) definieren. ‚Raum‘ avanciert zum spezifischen Medium bildhauerischer Praxis und Selbstbeschreibung.

Die Recherchen wurden 2010 – 2012 durch ein Postdocstipendium der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert. Forschungsaufenthalte in Rom und Florenz unterstützten die Bibliotheca Hertziana (Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte) und die Villa Romana.

Exposé

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Kunstautonomien.
Luhmann und Bourdieu

Verlag Silke Schreiber / Edition Metzel, München 2010, ISBN 13 978-3-88960-109-4
Dissertation an der Universität München 2008

Auf die Frage nach dem Ort der Kunst ist man disparate Antworten gewohnt. Die Tradition des l’art pour l’art etwa versucht, das Künstlerische der Gesellschaft zu entheben: als das selbstgenügsame Schöne, das seinen Daseinsgrund in sich allein findet. Wem das als unbefriedigende Rückzugsposition erscheint, definiert ästhetische Autonomie anders: als ein Freisein von Zwecken, das die Kunst in der zweckhaften Banalität des Alltags zum utopischen Gegenentwurf werden lässt; oder als die Selbstsetzung eines Zwecks, der dann darin liegen kann, der Gesellschaft von außen her einen kritischen Spiegel vorzuhalten.

Für Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu sind das falsche Alternativen. Als Soziologen können sie nicht viel anfangen mit künstlerischen Selbstbeschreibungen, die das Ästhetische jenseits des Sozialen ansiedeln wollen. Sie bestehen vielmehr darauf, dass Kunst eben durch ihre Autonomie gesellschaftlich wird, weil noch im abstraktesten Formenspiel des Kunstwerks immer auch ein Abdruck der sozialen Wirklichkeit aufbewahrt ist. Darzustellen, wie antipodisch Luhmanns Systemtheorie und Bourdieus Theorie sozialer Felder diese Prämisse entfalten, ist Gegenstand der Dissertationsschrift.

Für Luhmann, so zeigt die Arbeit, wiederholen sich allgemein-gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in der autonomen Ordnung des Kunstwerks; die Freiheit der ästhetischen Form erhält mithin die soziale Funktion, zum Gebrauch der eigenen Handlungsfreiheit zu ermutigen. Bourdieu dagegen interessiert, wie sich soziale Machtverhältnisse und Ungleichheiten in die Form des Kunstwerks einlagern, durch die Kraft des schönen Scheins aber verschleiert und gerechtfertigt werden. Luhmanns Idee einer sozialen Emanzipation durch die Kunst findet sich bei Bourdieu deshalb durch die Forderung ersetzt, gerade in der Emanzipation von der Kunst gesellschaftliche Handlungsspielräume zu erkennen. Die vorgelegte Analyse unternimmt es, diese Differenzen präzise herauszuarbeiten – um sie doch gleichzeitig auf einen gemeinsamen Vorrat frappierend ähnlicher Denkfiguren zurückzuführen.

Die Kritik an beiden theoretischen Entwürfen freilich ist ebenso scharf zu formulieren: man hat es hier wie dort mit Kunstsoziologien zu tun, die ohne Kunst auszukommen scheinen, die das Schöne als soziologische Lehrmittelsammlung und als illustrierenden Beweis ihres je eigenen Gesellschaftsmodells benutzten. Der Eigensinn des Kunstwerks, seiner Materialität, seiner Körperlichkeit, seiner unmittelbaren Präsenz geht dabei verloren. Wo aber intellektuelle Erkenntnis von ästhetischer Erfahrung abgetrennt wird, dort verkümmert auch die soziale Funktion des Kunstwerks. Und die Frage müsste sein: was die Gesellschaft von einer Kunst lernen kann, deren Werke sich nicht darin erschöpfen, in ästhetische Form gebrachte Gesellschaftstheorie zu sein.

Die Arbeit wurde 2005 – 2007 durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes unterstützt und 2008 mit dem Promotionspreis der Münchner Universitätsgesellschaft ausgezeichnet. Zur Drucklegung stellten die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie die Geschwister-Boehringer-Ingelheim-Stiftung für Geisteswissenschaften Publikationsbeihilfen zur Verfügung.

Text

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Utopie des Urbanen: Neuperlach
Leitbilder und Stadtbilder eines Experimentes der 1960er-Jahre
Magisterarbeit an der Universität München 2003,
LMU Open Access: DOI: 10.5282/ubm/epub.2034

Neuperlach, Münchens erste Trabantenstadt – seit 1961 projektiert und zwischen 1968 und 1979 bis auf den erst in jüngerer Zeit vollendeten Südteil fertiggestellt – ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: in ihren Dimensionen und in ihrem Anspruch. Das größte bundesdeutsche Siedlungsprojekt war nicht nur als Antwort auf die drastische Wohnungsnot dieser Zeit gedacht, sondern auch als Schritt in die Zukunft eines modernen, vorwärtsgewandten, humanen Städtebaus in der Tradition der historischen europäischen Stadt.

Neuperlach steht dabei an einem urbanistischen Wendepunkt. Es ist das Kind einer Umbruchzeit, in der sich alte und neue städtebauliche Leitbilder gegenüberstehen. Die noch immer wirksamen Ideologien der 1940er- und 50er-Jahre nämlich waren gerade aus der Opposition zur traditionellen Stadt heraus konzipiert worden. Besonders trifft dies auf die organizistischen Leitbilder der organischen Stadt (1948) und der gegliederten und aufgelockerten Stadt (1957) zu, die der „Vermassung“ der modernen Stadt die „Entballung“, der „Entartung des Lebens“ die Natürlichkeit der „Stadtlandschaft“ entgegenstellen wollten. Auch das funktionalistische Konzept der Charta von Athen (1933) propagierte, wenn nicht keine, so doch eine ganz andere Stadt als die bekannte und bezog ihre Legitimation aus der behaupteten „Krankheit“ der Stadt der Gegenwart.

Gegen die ideologischen Grundlagen dieser älteren Leitbilder formierte sich Mitte der 1960er-Jahre erheblicher Widerstand von Seiten derjenigen Kritiker und Stadtplaner, die den Wert gerade der großstädtischen Lebensform wiederentdeckten. Urbanität durch Dichte wurde zum Schlagwort und zur Forderung eines modernen Städtebaus.

Zwar entsprachen die Planungen Neuperlachs in ihrer prinzipiellen Bejahung des Städtischen bereits seit 1961 diesen Vorstellungen – zu einem Zeitpunkt, als sie noch kaum formuliert, geschweige denn allgemein akzeptiert waren. Doch fehlte diesem in der Praxis noch völlig unerprobten urbanen Stadtgedanken jegliches neue städtebauliche Instrumentarium. In dieses Vakuum konnten die organizistischen, zum Teil auch die funktionalistischen Leitbilder vorstoßen, die über ein vollständig ausgearbeitetes Programm an städtebaulichen Lösungen verfügten. Ihre Strukturvorstellungen und die mit ihnen verbundenen gestalterischen Prämissen schoben sich in die Zwischenräume, die das Konzept der ‚urbanen Stadt' offenließ. Ihre unreflektierte Präsenz verlängerte die Ideologien der Vergangenheit in die Zukunft und ist typisch für eine den Städtebau der 1960er-Jahre insgesamt prägende Problemkonstellation: Der Widerspruch zwischen einer Renaissance des Stadtgedankens, die sich im Glauben an die mechanische Herstellbarkeit des Städtischen erschöpft, und der unbemerkten Nachwirkung älterer, stadtfeindlicher Leitbilder lässt die Utopie des Urbanen letztlich scheitern.

Die Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Heinrich-Wölfflin-Preis 2003 des Freundeskreises des Kunsthistorischen Institutes der Universität München und einem Sonderpreis des Theodor-Fischer-Preises 2004 des Zentralinstitutes für Kunstgeschichte. Die Stadt München unterstützte die Arbeit durch einen Ankauf.


Abstract und Text


Komm, wir bauen eine Stadt.
Einige Stadtrandbemerkungen aus München-Neuperlach,
in: Andreas Müsseler, Andreas Hild
(Hg.), Neuperlach ist schön, München 2018, auch inMitteilungen der Geographischen Gesellschaft München (Sonderheft), 2006, S. 60–73

Text